Montag, 30. Juli 2012

Liebe Trixi,

ich weiß noch genau, dass es ein Samstag Abend war, damals im Oktober 1994. Ich war 14 und wollte gerade zum Tanzkurs, als ein Bekannter klingelte und uns ein kleines fellbedecktes Häufchen Elend mit einer unglaublich Stimmgewalt präsentierte. Wir hätten doch immer Katzen gehabt, ob wir uns nicht der kleinen Findelkatze annehmen könnten. Na, was will man da machen?

Die erste Nacht schliefst du, so verlaust und flohbesetzt wie du warst, mit meinem Vater auf der Couch. Als er nur mal eben auf die Terrasse ging, um eine zu rauchen, hast du so kläglich geschrien, dass meine Mutter, die im ersten Stock schlief, aufwachte. Bloß nicht mehr allein sein!

In den ersten Jahren warst du eher kratzbürstig. Du konntest im einen Moment schnurrend und wohlig zusammengerollt auf einem Schoß liegen, nur um dem Besitzer des Schoßes eine Sekunde später alle zwanzig Krallen in die streichelnde Hand zu schlagen. Mit anderen Katzen kamst du nicht gut zurecht. Immerhin warst du, als du gefunden wurdest, noch viel zu klein, um alleine im Wald zu sitzen. Viel Gelegenheit, dich mit Geschwistern zu balgen, dürftest du nie gehabt haben. Und du bist auch immer sehr klein und zierlich geblieben, sodass die anderen Katzen in der Straße dir haushoch überlegen waren und dir das auch deutlich gezeigt haben. Du bist deshalb fast immer in unserem Grundstück geblieben. Uns war es ganz recht, schließlich waren uns in den letzten Jahren schon drei Katzen überfahren worden oder spurlos verschwunden. Mein Vater wachte mit Argusaugen darüber, dass unser Garten dein Revier blieb und verjagte alle anderen Katzen, die dich auch nur schief anschauten. Vom ersten Moment an warst du in erster Linie seine Katze. Und meine.

Mit dem Alter wurdest du ruhiger und anhänglicher. Wolltest immer da sein, wo sich deine Menschen auch aufhielten. Gingen wir in den Garten, warst du keine fünf Minuten später auch da. Gingen wir ins Wohnzimmer, in den Keller, ins Obergeschoss, immer kamst du nach ein paar Minuten hinterher, um dich irgendwo in die Nähe zu setzen und zu dösen.

Bis vor einem oder zwei Jahren hat man dir dein Alter kaum angesehen, aber dann hast du merklich abgebaut. Dass dein Geruchssinn nicht mehr der beste war, vermuteten wir schon seit Jahren. Auch die Ohren haben nachgelassen. Seit einem halben Jahr konntest du dein Fell nicht mehr pflegen und deine Krallen nicht mehr richtig einziehen. Und seit ein paar Tagen konntest du plötzlich auch nichts mehr sehen. Damit war dir jede Möglichkeit genommen, dich zu orientieren. Haus und Garten, die immer dein Zuhause waren, waren dir plötzlich fremd. Auch deine Beine wollten dich nicht mehr richtig tragen und du warst nur noch Haut und Knochen. Wir sollten zum Verabschieden kommen, sagte meine Mutter am Telefon.

Seit mindestens zehn Jahren bist du jeden Morgen zur Nachbarin gegangen, um dir dort ein Schälchen Milch abzuholen. In den letzten Tagen ging das nicht mehr. Aber die Nachbarin kam gestern noch einmal an den Zaun, um dir ein letztes Schälchen Milch zu geben. Ihr Hund, der sonst immer voller Begeisterung bellend und schwanzwedelnd am Zaun entlanggetobt ist, wenn er dich gesehen hat, war diesmal ganz still. Er hat dich nur beobachtet, wie du deine Abschiedsmilch getrunken hast, als wollte er sagen: "Hey, du siehst aber gar nicht gut aus!" Du bist dann zum Zaun gelaufen und hast seine Nase mit deiner angestupst. Ein kleines Lebewohl, das alle, die es gesehen haben, tief beeindruckt hat.

Als wir kamen, warst du verschwunden. Eine Stunde lang haben wir zu fünft den Garten abgesucht, in der Überzeugung, dass du dich zum Sterben zurückgezogen hast. Schließlich bist du deinen Menschen seit Wochen nicht mehr von der Seite gewichen. Wir haben dich schließlich gefunden, unter einem Busch, wo du zusammengerollt gelegen und gedöst hast. Wir haben dich dort gelassen. Abends bist du zum Fressen aus deinem Versteck gekommen, dann hast du dich wieder zurückgezogen. Als du am nächsten Morgen immer noch da warst, sind meine Eltern und mein Bruder mit dir zur Tierärztin gefahren. Sie war wohl sehr lieb, hat dir erklärt, was sie macht und sich bei dir entschuldigt. Ich bin kein Freund davon, Tiere schnell einzuschläfern, aber bei dir habe ich so stark das Gefühl, dass es genau richtig war. Ich hoffe, du weißt, dass es ein Liebesdienst war?

Leb wohl, du Süße, du Kleine, du Alte, wo immer du jetzt bist. Und grüß Willy, Mikesch und Jeanny von uns, ja?

trixi

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abraxa (Gast) - 31. Jul, 06:54

*tränchen verdrück*

Esmerelda - 31. Jul, 12:27

Fühl dich umarmt. *Tränen wegwisch*

vogelfrau (Gast) - 31. Jul, 17:01

das hast du sehr schön geschrieben.
es ist immer schwer ein vertrautes tier zu verabschieden.
ich drück dich ....

Meister Lampe (Gast) - 1. Aug, 19:37

Es ist wirklich schade um das Tier. Sie war so lange Zeit immer da, dass ihr Fehlen auffallen wird, wenn ich demnächst nach Hause komme. Aber dankenswerterweise hat sich ihr Ende lange genug angekündigt. Großes Leiden ist Trixi erspart geblieben, dennoch wusste jeder dass sie nicht mehr viele Sommer vor sich hat. Sie hat außerdem ein stolzes Alter erreicht für ein so mickriges, halb verhungertes Findelkätzchen und fast eine komplette Menschengeneration überdauert. Sehr schade - aber es ist total in Ordnung. Sie hatte ihre Zeit, und sicherlich eine schöne.

Stjama - 1. Aug, 23:09

Danke für eure Kommentare :) Ja, es ist vollkommen in Ordnung, dass sie jetzt nicht mehr da ist. Sie hatte ein wirklich langes Leben. Aber fehlen wird sie einfach trotzdem.

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