Politik und Soziales

Dienstag, 4. September 2012

Der Dschungel in Bürokratien

Wisst ihr, wie das hier abläuft, wenn man eine Freiberuflichkeit anmelden will?

Schritt 1: Homepage und Downloadcenter des Finanzamts durchsuchen, weder einen Ansprechpartner noch ein Formular finden.

Schritt 2: Öffnungszeiten abwarten, anrufen, von der Zentrale vermittelt werden.

Schritt 3: den ungefähren Ablauf erfahren. Ich muss zunächst das Formular schriftlich beantragen (WTF?), aber immerhin geht das per Email. Man ist ja fortschrittlich. Von der Dame am Telefon die Emailadresse diktieren lassen.

Schritt 4: Email schreiben.

Schritt 5: Email zurückbekommen wegen falscher Adresse. Alternativadresse in der Email finden. (Warum zur Hölle leiten sie dann die Mail nicht einfach an diese Alternativadresse weiter?)

Schritt 6: Email schreiben.

Schritt 7: Warten. Und hoffen, dass die Mail diesmal an der richtigen Adresse gelandet ist.

Theoretisch bekomme ich jetzt das Formular, fülle es aus, schicke es ein und bekomme dann eine Steuernummer zugeschickt. Mal sehen, wie viele Zwischenschritte es noch gibt.

Kann man so ein Formular nicht einfach im Downloadcenter hinterlegen? Und wenn man es nicht kann, kann mir dann nicht die Dame anbieten, das Formular zu schicken, wenn ich ihr mitteile, dass ich es brauche? Das können doch unmöglich so sensible Daten sein, dass ich das erst schriftlich beantragen muss. (Und wenn sie so sensibel wären, würde meine web.de-Adresse ja auch nicht viel bringen.)

Auf diese Weise vergeudete Zeit macht mich unheimlich sauer. Hat sich immer noch nicht herumgesprochen, dass die Arbeit auch für die Dienstleister mehr Spaß macht, wenn sie so ein klein wenig nach dem Servicegedanken arbeiten? Dann ist nämlich der Großteil der Kunden schon vollkommen zufrieden.

Aber ich weiß schon. Das Finanzamt ist kein Dienstleister, sondern eine Behörde.

Samstag, 12. März 2011

Angst

Ich bin von den Nachrichten der letzten beiden Tage ziemlich erschlagen. Ich saß gestern weinend vor der Tagesschau, die Bilder aus Japan sind einfach entsetzlich.

Ich stelle mir dann bei so was immer einzelne Schicksale vor. Gerade war noch alles in bester Ordnung und zehn Minuten später hast du dein Haus, dein komplettes Hab und Gut, deine Familie oder dein Leben verloren. Einfach so. Zack bumm.

Und dann der Mist mit dem Atomkraftwerk. Das macht mir einfach eine Scheißangst. Ja, wahrscheinlich wären wir hier auch im schlimmsten Fall nicht betroffen, Entfernung, Wetterlage blabla. Aber wie viele tausende oder sogar Millionen Menschen woanders betroffen sein könnten, ist überhaupt nicht abzusehen, auch wenn ich persönlich mir hier eine gewisse Sicherheit aufs Brot schmieren kann.

Klar, in Deutschland ist die Lage eine andere und mit so einem Erdbeben oder einer anderen so extremen Naturkatastrophe müssen wir hier nicht rechnen. Aber in Japan hat auch keiner mit einer so massiven Katastrophe gerechnet. Nach allem was man liest und hört, hat Japan einen extrem hohen Sicherheitsstandard und trotzdem haben sie die Lage in ihrem AKW gerade nicht unter Kontrolle (von der restlichen Lage im Land mal ganz zu schweigen).

Ich hoffe nur, dass das die internationale Debatte über Atomkraft kräftig anheizt und dass hier und da doch die Dinger abgeschaltet werden. Wenn das kein Warnschuss ist, dann weiß ich auch nicht mehr.

Montag, 14. Februar 2011

Über Höflichkeit

Ein Thema, das mir schon seit einer Weile im Kopf herumgeistert, will nun endlich mal in die Tasten gehauen werden.

Ich bin, denke ich, ein sehr höflicher Mensch. Ich bin aufmerksam, ob jemand hinter mir durch die Tür gehen möchte und halte sie dann auf. Ich grüße immer freundlich und nehme dabei sogar Blickkontakt auf (ein Verhalten, auf das viele Menschen freudig erstaunt reagieren). Ich bedanke mich auch für Dinge, die andere vielleicht selbstverständlich finden. Ich gebe die Hand, biete Plätze und Hilfe an und formuliere meine Anliegen rücksichtsvoll-freundlich.

Normalerweise fahre ich damit sehr gut, weil ich inzwischen gelernt habe, die Grenze der Höflichkeit zu erkennen und auch sehr deutlich meine Meinung zu sagen, wenn es die Situation erfordert.

Ich bringe auch dem Töchterchen die Grundregeln der Höflichkeit bei, wenn auch vielleicht nicht mit dem gebotenen Ehrgeiz. Dafür gibt es zwei Gründe:

Erstens: Mir fällt keine andere Möglichkeit ein, als "Wie heißt das Zauberwort?" oder "Wie sagt man?" Ich stelle sie damit nicht bloß und ich spreche auch immer wieder mal mir ihr darüber, dass ich viel mehr Freude daran habe, etwas für sie zu tun, wenn ich nett gefragt werde. Aber ich habe trotzdem immer den Eindruck, ich trainiere ihr ein nettes Kunststück ein, und das ist nicht das, was ich unter Erziehung verstehe.

Und da sind wir auch schon bei Zweitens: Wenn man Höflichkeit mal genauer anschaut, dann ist es tatsächlich nichts anderes als ein nettes Kunststück, eine eintrainierte Zirkusnummer. Viele Menschen (ich auch manchmal) verwechseln Höflichkeit mit Respekt oder Anerkennung. Wer höflich zu mir ist, bringt mir Wertschätzung entgegen. Das ist Bullshit. Ich kann in höflichster Weise die größten Unverschämtheiten sagen (wenn ich richtig gut bin, dann merkt der Angesprochene es nicht mal, aber die Umstehenden ;-) ). Von dem, was man hinter dem Rücken so sagt, außerhalb der Zirkusarena, mal ganz abgesehen. Und ich kenne andererseits Menschen, die auf eine ganz einfache, unkapriziöse, bäuerliche Art herzlich und offen freundlich sind, obwohl sie sich über alle Höflichkeitsregeln hinwegsetzen.

Dass Höflichkeit eine Frage der Kultur und des Zeitgeistes ist, ist eine Binsenweisheit, die die Absurdität des Ganzen eigentlich erst so richtig zeigt. Während man angeblich noch zu Luthers Zeiten mit Rülpsen und Furzen dem Koch die Begeisterung über das Essen beweisen konnte, beweist man damit heute höchstens Respektlosigkeit und schlechte Manieren. In der westlichen Welt zeigt ein Augenkontakt, dass man jemandem konzentriert zuhört, in Asien ist er sehr taktlos. Egal wie respektvoll ich also mit jemandem umgehen möchte: Wenn ich die Regeln nicht kenne, mit denen ich das beweisen kann, habe ich wenig Chancen.

Meine Höflichkeit ist normalerweise tatsächlicher Respekt, in die Sprache gekleidet, die viele verstehen. Ich bin gerne freundlich zu anderen Menschen, weil ich oft merke, dass ich ihnen damit den Tag schöner mache und das macht meinen eigenen auch schöner. Das ist etwas anderes, als einfach nur Verhaltensregeln zu befolgen. Wenn es nur darum geht, stoße ich immer wieder auf Probleme: Ich bin zwar deutlich jünger als diese Person, stehe aber beruflich "über" ihr. Darf ich ihr jetzt das Du anbieten oder muss ich auf ihres warten? Wäre es jetzt gut oder aufdringlich gewesen, auf die Schulrätin direkt mit Handschlag zuzugehen? Da merke ich dann wieder, dass ich mich eigentlich doch in einer Zirkusnummer befinde.

Wie macht man es denn nun mit Kindern? Ihnen die Regeln beizubringen halte ich schon für sehr wichtig, man hat es sehr viel leichter damit. Aber wie bringt man ihnen bei, dass es eigentlich auf das ankommt, was hinter den Regeln steht? Dass man mit dem Einhalten dieser Regeln andere in Sicherheit wiegen und ihnen das geben kann, was sie sich wünschen. Dass man aber selbst nicht darauf hereinfallen darf, Höflichkeit mit Respekt zu verwechseln, weder beim eigenen noch bei fremdem Verhalten. Wie macht man das? Ratschläge anyone?

Freitag, 14. Januar 2011

Katholische Coolness

Ein Kaplan versucht, einen Flashmob zu organisieren. In seiner Kirche. Zum Thema "Wärme". Allerdings soll sich dieser besondere Flashmob nicht nach ein paar Minuten auflösen, sondern es soll in der Kirche spannende Aktionen geben: Glühweinausschank der Pfadfinder zum Beispiel. Oder Musik der Katholischen Landjugendbewegung. Oder auch singen und beten. Worin die "ungewöhnlichen Dinge" bestehen, die man bei einem Flashmob so macht, lässt sich auch nicht recht rausfinden, außer dass man sich eine mitgebrachte Wärmflasche mit warmem Wasser füllen lassen kann. ho-HO!

Nicht dass ich da Experte wäre: Aber was genau bleibt dann von einem Flashmob noch übrig?

Und mal ganz ehrlich: Der Versuch, "cool" und "Kirche" zusammenzubringen hat noch nie irgendwas hervorgebracht, was wirklich cool gewesen wäre, oder?

Samstag, 14. November 2009

"Guten Tag, ich heiße Samuel und ich hätte da mal 'ne Frage..."

Weiter habe ich den acht- oder neunjährigen Knirps nicht reden lassen, der mir vorhin an der Haustür einen Zettel entgegenstreckte mit der Aufschrift "Wer ist Jesus Christus?"

Verdammt noch mal, ist es nicht schräg genug, wenn Erwachsene meinen, einen Dienst für ihren Gott zu tun, indem sie Leute belästigen? Seit wann schicken die ihre Kinder vor? Der Vater (nehme ich an) stand unten an der Haustür und hielt sich vollständig im Hintergrund. Was ist das? Training für Einsteiger?

Ich könnte so was von kotzen!

Freitag, 23. Oktober 2009

Religionsunterricht an der Grundschule - ein persönliches Plädoyer zum Freitag

Ich wohne und unterrichte ja in Bayern. Das Klischee, dass hier einiges ein bisschen konservativer abläuft als in anderen Bundesländern, stimmt zu einem guten Teil schon. Wie das Thema Religionsunterricht in anderen Bundesländern geregelt ist, weiß ich nicht im Detail, ich hoffe aber, dass es da ein bisschen anders ist...

Hier in Bayern ist die Situation folgende:

- In der dritten und vierten Schulklasse haben die Kinder drei Stunden Religionsunterricht pro Woche, in der ersten und zweiten Klasse sind es immerhin zwei Stunden. Zum Vergleich: In der dritten und vierten Klasse haben die Kinder eine(!) Stunde Kunst pro Woche, also: Thema klären - Farbkasten auspacken - 15 Minuten malen - Farbkasten wieder einpacken. HSU (Heimat- und Sachunterricht), kommt ebenfalls auf 3 Stunden pro Woche, ist also von der Stundenanzahl gleich gewichtet wie der Religionsunterricht!

- Ein Lehrer, der Religion unterrichten will, braucht dazu die Genehmigung der Kirche. Unter anderem muss er sich dazu von einem Pfarrer/Pastor bestätigen lassen, dass er ein christliches Leben führt.

- Häufig unterrichten in der Grundschule gar keine Lehrer, sondern der ortsansässige Pfarrer/Pastor. Soweit ich weiß, braucht er dafür nicht einmal eine gesonderte pädagogische Ausbildung.

- Theoretisch können Eltern natürlich entscheiden, ob sie ihr Kind lieber in den Religions- oder Ethikunterricht schicken wollen. Praktisch gibt es aber an sehr vielen Grundschulen keinen Ethikunterricht. Dann werden die Kinder, die nicht an Religion teilnehmen "dürfen", in irgendeine andere Klasse gesetzt, wo sie sich still beschäftigen müssen.

- Kruzifixe sind immer noch gang und gäbe in allen Klassenzimmern.

Ich selbst bin, wie ich hier und da schon mal erwähnt habe, keine Christin, sondern naturreligiös. Ich reagiere daher sehr sensibel auf den kirchlich-christlichen Einfluss, der hier auf Kinder einwirkt. Die religiöse Erziehung in des Töchterchens Kindergarten stört mich ziemlich (und nein, wir haben keine Alternative), und ich sehe jetzt, in welchem Maß sich das in der Schule fortsetzt.

Versteht mich nicht falsch: Die Gedanken, die hinter den religiösen Themen stehen, empfinde ich als sehr gut und sinnvoll. Kinder sollten sich unbedingt mit Themen wie Verzeihen, die Schönheit der Schöpfung, Umgang mit Schuldgefühlen etc. beschäftigen können. Aber das geht doch auch in Ethik?

Dass Kinder etwas über den christlichen Glauben und biblische Geschichten erfahren, ist ebenfalls gut und wichtig. Immerhin hat das Christentum unsere Kultur sehr stark geprägt und tut es immer noch. Es ist ein Unding, dass viele Kinder (und auch Erwachsene, aber das ist ein anderes Thema) gar nicht wissen, was eigentlich an Weihnachten und Ostern gefeiert wird. Aber das Unterrichten sollte doch mit Abstand geschehen und nicht ausschließlich von Pfarrern oder kirchlich autorisierten Lehrern weitergegeben werden. Würde Sozialkunde nur von Parteipolitikern unterrichtet, die alle Themen aus der Sicht ihrer eigenen Partei behandeln, würden sich die Eltern (hoffentlich und zu Recht) darüber aufregen. Warum ist es dann bei der Religion völlig normal, dass "von innen her" unterrichtet wird?

Der Glaube an etwas Göttliches, an eine Macht, die über und hinter uns steht, ist sehr hilfreich und ich denke auch notwendig für ein glückliches und erfülltes Leben. Aber die Kirchen und der Religionsunterricht liefern nur sehr wenige Möglichkeiten, tatsächlich zu einem ganz persönlichen Glauben zu finden, der in Kopf und Herz hin- und herbewegt, immer wieder hinterfragt und für gut befunden wurde. Genau dazu versuchen der Liebste und ich das Töchterchen zu erziehen, und wir empfinden es als absolut kontraproduktiv, dass wir immer wieder das Gefühl bekommen, gegen die "christliche Keule" anarbeiten zu müssen, die sie im Kindergarten mitbekommt.

Für ein Land wie Deutschland, in dem die Trennung von Staat und Kirche im Grundgesetz festgeschrieben ist, kann es für mich nur eine einzige logische Schlussfolgerung geben: Religionsunterricht hat an staatlichen Schulen nichts verloren und sollte komplett durch Ethik ersetzt werden.

Dass das für die nächsten Jahrzehnte Utopie bleiben wird, ist mir allerdings auch klar.

Mittwoch, 2. September 2009

Kunst und Politik

Das ist mal eine echt coole Aktion vom WWF! Sie erregt Aufmerksamkeit, kommt ohne erhobenen Zeigefinger aus und ist nebenbei auch noch ästhetisch wunderschön.

Und was das für Arbeit gemacht hat, möchte ich mir gar nicht vorstellen. Meinen aufrichtigen Respekt!

Freitag, 14. August 2009

Über Blutspende

Über Organspende habe ich ja vor einer Weile schon mal meine Meinung geäußert. Heute ist also die Blutspende dran.

Meine Bedenken gegenüber der Organspende haben - kurz zusammengefasst - vor allem damit zu tun, dass ich einerseits meinen Sterbeprozess nicht "hergeben" möchte und dass ich andererseits befürchte, dass für mich im Falle eines schweren Unfalls nicht alles getan werden könnte, wenn klar ist, dass meine Organe weitergegeben werden können.

Beide Probleme treten bei der Blutspende ja nicht auf und daher habe ich auch kein grundsätzliches Problem mit Blutspenden. Im Gegenteil, ich bin schon oft beim Blutspenden gewesen (und bin übrigens auch in der Knochenmarksspenderdatei eingetragen) und werde auch weiterhin immer mal, wenn es gut passt, zum Blutspenden gehen.

Trotzdem gibt es zwei Dinge, die mich am Blutspenden massiv stören und die ich hier thematisieren möchte:

Der erste Punkt betrifft die Praxis der Blutspendetermine: Handschuhe werden von den Schwestern und Pflegern, die das Blut abnehmen, eigentlich nie getragen geschweige denn gewechselt, wenn sie von Spender zu Spender gehen. Es werden auch nicht immer zwischendurch die Hände gewaschen oder desinfiziert. Ich bin da vielleicht etwas paranoid, aber ich erwarte gerade beim Blutspenden, wo ja logischerweise mit Blut hantiert wird, einen extrem hygienischen, sicheren Umgang damit. Klar, normalerweise kommt das Blut aus dem geschlossenen System von Arm - Schläuchen - Beutel gar nicht raus, aber ich habe es schon mehr als einmal erlebt, dass falsch gestochen wurde, ein Hähnchen am Schlauch nicht zugedreht war oder die Wunde hinterher noch mal aufgegangen ist, so dass sehr wohl "offenes" Blut im Umlauf war. Der Umgang damit ist für mein Empfinden deutlich verbesserungswürdig.
Zusätzlich wurde ich einmal - beim Leukozytenspenden - vom Arzt völlig falsch aufgeklärt und hatte hinterher tagelang Beschwerden, auf die er mich einfach hätte hinweisen müssen. Ich hatte sogar beim Aufklärungsgespräch Bedenken geäußert, die kurzerhand weggewischt und als unnötig abgetan wurden. Ich kam mir hinterher vor wie eine Milchkuh, der der Besitzer mal eben bei Bedarf etwas abzapft und sie dann wieder in den Stall schickt. So etwas darf nicht passieren! Jeder, der Blutspenden geht, geht gesundheitliche Risiken ein, um anderen zu helfen, auch wenn diese Risiken nicht wahnsinnig hoch sind. Dann sollte es doch eine Selbstverständlichkeit sein, so aufzuklären, dass jeder auch wirklich selbst entscheiden kann, ob er diese Risiken eingehen will oder nicht.

Beim Thema der freien Entscheidung sind wir schon beim zweiten Punkt, der für mich Anlass war, über dieses Thema zu schreiben: Heute flatterte mir ein Werbebrief mit dem nächsten Blutspendetermin ins Haus. Der erste Satz, der mich fett und riesig gedruckt ansprang, lautet: "Wir können die Blutversorgung bald nicht mehr garantieren!" Dann folgen zwei, drei Sätze darüber, dass es nicht selbstverständlich ist, dass für die kranken und verletzten Mitmenschen genug Blut vorhanden ist und dass ich deshalb ganz dringend zum Blutspenden kommen soll.

Wie gesagt, ich werde wahrscheinlich nächste Woche wirklich hingehen, darum geht es gar nicht. Aber ich kann es nicht leiden, wenn bei einem solchen Thema auf die Tränendrüse gedrückt oder, wie in diesem Fall, mit der Angst gearbeitet wird, um Leute zu etwas zu bewegen, das sie sonst vielleicht nicht tun würden. Eine Spende ist eine freiwillige Gabe, ein Geschenk. Und ein halber Liter Blut ist ein recht großzügiges Geschenk, würde ich sagen. Ich mache dieses Geschenk gerne, aber ich möchte mich nicht unter Druck gesetzt fühlen. Für einen Hinweis auf den nächsten Termin hier im Ort bin ich sehr dankbar, aber muss das mit so einem Text sein? Das verleidet mir die Sache ein bisschen und hinterlässt einen blöden Beigeschmack...

Mittwoch, 29. Juli 2009

Über Organspende

Bei der Lakritzefrau wurde heute eher nebenbei das Thema Organspende angesprochen und dabei die Tatsache, dass sie und ihr Prinz keine Organe spenden wollen. Die Kommentare dazu waren eher verwundert, man hätte ihr eher das Gegenteil "zugetraut".

Ich hatte schon seit mindestens zwei Wochen vor, dieses Thema mal hier im Blog aufzugreifen, habe mich bisher aber davor gedrückt. Jetzt packe ich das Thema aber doch mal an. Zeit für ein ganz persönliches Statement:

Ich werde keinesfalls Organe spenden und ich werde auch bei Familienangehörigen, bei denen ich eventuell eine solche Entscheidung treffen muss, mit aller Kraft dafür eintreten, dass sie keine Organ"spender" werden. (Von Spende kann ja wohl keine Rede sein, wenn der, dem die Organe gehören, keine Entscheidung mehr treffen kann, oder?)

So klar war ich nicht immer. Im Gegenteil: Ich hatte jahrelang einen Organspendeausweis in der Tasche, bei dem angekreuzt war, dass ich bereit bin, alle Organe zu spenden. "Was soll ich damit, wenn ich tot bin", war meine Meinung, die sicher viele teilen werden.

Irgendwann kamen mir dann Zweifel: Kann ich mich wirklich darauf verlassen, dass für mein Leben alles getan wird, wenn ich als Organspender bekannt bin? Auch dann, wenn die Gefahr besteht, dass die Organe nicht mehr zu verwenden sind, wenn man noch länger warten würde? Und - von einer ganz anderen Ebene aus betrachtet - bindet es meine Seele irgendwie an diese Welt, wenn noch Organe des alten Körpers "am Leben" sind? Behindert das eine Seele beim Übertritt in eine andere Welt? Ich war unentschlossen und fühlte mich nicht in der Lage, wirklich eine Entscheidung zu treffen. Schließlich nahm ich den Organspendeausweis wieder aus meinem Geldbeutel heraus, wusste aber, dass das keine Entscheidung, sondern nur ein Aufschieben der Entscheidung war.

Schließlich erfuhr ich, dass eine Frau, die ich aus einer Seminargruppe kenne, sich sehr lange mit dem Thema beschäftigt hat und sogar ein Buch darüber geschrieben hat: Renate Greinert. Ihr Buch heißt Unversehrt sterben - Konfliktfall Organspende. Sie beschreibt darin ihre eigenen Erfahrungen mit der Transplantationsmedizin:

Vor über 20 Jahren starb ihr 15jähriger Sohn durch einen Verkehrsunfall und Renate hat einer Organentnahme zugestimmt. Als sie dann kurz vor der Beerdigung eine Öffnung des Sarges erzwang, sah sie ihren Sohn regelrecht "ausgeweidet" vor sich, mit einer riesigen, nachlässig verschlossenen OP-Wunde und ohne Augen. Vollkommen schockiert von diesem Anblick und ihrer Entscheidung für die Organentnahme fing sie an, sich mit diesem Thema intensiv auseinanderzusetzen und fand dabei furchtbare Dinge heraus, die sie bewogen haben, den Kampf gegen die Transplantationsmedizin aufzunehmen, den sie bis heute kämpft.

Die Kernaussage ihres Buches ist, dass hirntote Menschen mitnichten tot, sondern vielmehr sterbend sind, also während der Organentnahme noch am Leben. Sie begründet und belegt das sehr eindrücklich und lässt auch Mediziner zu Wort kommen, die der Transplantationsmedizin kritisch gegenüberstehen.

Es geht noch um viele andere Themen und Probleme rund um die Transplantationsmedizin, die ich jetzt nicht alle aufrollen kann und will, die mir aber das Blut in den Adern haben gefrieren lassen, als ich das Buch gelesen habe.

Ich habe Renate übrigens als eine Frau kennengelernt, die sehr gründlich und genau recherchiert. (Das muss sie auch, weil sie sich vielen Anfeindungen gegenübersieht und weiß, dass sie sofort zerrissen würde, wenn sie etwas schriebe, das nicht belegbar ist.) Das Buch ist wirklich absolut empfehlenswert und ein notwendiges Gegengewicht zur Pro-Organspende-Werbung mit all den mitleiderregenden Gesichtern von Kranken, die auf ein Organ warten. Ich kann allen, die sich über das Thema auch von der anderen Seite informieren wollen, „Unversehrt sterben“ nur ans Herz legen.

Ich habe daraufhin jedenfalls beschlossen, dass ich mein Sterben auf keinen Fall hergebe werde, um am Leben gehalten zu werden, bis die Organe verteilt sind und dann in einer großen Operation zur Organentnahme zu sterben. Dieses Opfer ist mir ganz eindeutig zu groß. Die Kehrseite des Ganzen ist natürlich, dass ich auch selbst kein Organ annehmen kann, auch wenn dieser Gedanke mir noch recht schwer fällt. Ich hoffe von Herzen, dass ich niemals in die Situation komme, mir darüber konkretere Gedanken zu machen...

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